Marineforum 3/2016

 

Uwe Hartmann, Hybrider Krieg als neue Bedrohung von Freiheit und Frieden. Zur Relevanz der Inneren Führung in Politik, Gesellschaft und Streitkräften. Carola Hartmann Miles-Verlag. Berlin 2015. 112 S. 9.80 Euro. ISBN 978-3-9458-6104-2

 

Unlängst wurde hier die Herausgabe ausgewählter Werke des Grafen Baudissin durch Claus v. Rosen vorgestellt und dessen Verweis auf deren fortdauernde Bedeutung. Uwe Hartmanns schmaler, aber gedanken-wie aspektenreicher Essay über den Hybriden Krieg und die Innere Führung ist, neben seiner eminenten politischen Aktualität, auch Legitimation der Inneren Führung unter den neuen Einsatzbedingungen der Bundeswehr. Früher hätte man eine derartige Ausarbeitung wohl „Denkschrift“ genannt – Produkt des Nachdenkens wie Anstoß zur Reflexion des Lesers, getragen von einer zentralen Aussage: Um Innere Führung nicht nur als Werkzeugkasten zur Reparatur von Defiziten in der Menschenführung misszuverstehen, zeigt der Autor im historischen Teil seines Buches, dass auch Baudissins Konzept abgeleitet war aus einer sicherheitspolitischen Analyse, dem des herrschenden und zu erwartenden Kriegsbildes und dessen Auswirkungen auf die Gesellschaft und die Führungsgrundsätze, Ausbildung und Organisation von Streitkräften. Hartmanns Buch folgt dabei einem Dreischritt:

- Analyse des Kriegsbildes des Hybriden Krieges, der Kombination irregulärer Kampfformen, terroristischer Gewaltakte und konventioneller Taktiken mit hoch technisierter medialer Desinformation und verdeckten Operationen bei ständiger, unvorhersehbarer Bedrohung.

- Historischer Exkurs in den Zusammenhang von Kriegsbild und Führungsphilosophie bei Baudissin und anderen Gründervätern der Inneren Führung.

- Funktion der Inneren Führung als Maßnahme der ethischen wie organisatorischen Stabilisierung von Streitkräften in der demokratischen Gesellschaft und damit der Erhöhung ihrer Widerstandsfähigkeit und Schlagkraft.

Das Buch ist dergestalt auch Verteidigungsschrift gegen jene, die die Bedeutung von Innerer Führung für moderne militärische Szenarien bestreiten und denen sie, seit ihren Anfängen, eher der „Verweichlichung“ denn der Stärkung militärischer Kompetenz zu dienen schien. Wobei der Autor aber auch klarmacht, dass angewandte Innere Führung als wertegeleitetes Fundament von Streitkräften nur ein Baustein im Gesamtarsenal politischer und militärischer Reaktionen auf die neuen, komplexen Bedrohungen moderner Gesellschaften zu sein vermag.

Frank Ganseuer

 

 

 

Hybride Kriegführung

Konfliktform der Zukunft?

Der Begriff „hybrider Krieg“ entstand 2006 in den Vereinigten Staaten bei der Analyse des Kriegs im Libanon. Das konventionell überlegene Israel sah sich mit einer terroristischen Hizbullah konfrontiert, die neben irregulären Kampftechniken auch moderne Kampfmittel und Führungssysteme nutzte.

05.10.2015, von REINER POMMERIN

 

 

Um politische Ziele zu erreichen, wurden in Kriegen und kriegsähnlichen Konflikten immer Mittel und Wege gefunden, die von großem Einfallsreichtum zeugten - meint Oberst im Generalstab Uwe Hartmann. Gleichwohl eigne sich der Begriff „hybrider Krieg“ besonders zur Beschreibung einer Kriegführung, die nicht vorrangig auf die Zerschlagung gegnerischer Streitkräfte, sondern auf die Destabilisierung staatlicher Strukturen, gesellschaftlicher Institutionen und Schwächung nationalen Zusammenhalts gerichtet sei.

Der Begriff entstand 2006 in den Vereinigten Staaten bei der Analyse des Kriegs im Libanon. Das konventionell überlegene Israel sah sich mit einer terroristischen Hizbullah konfrontiert, die neben irregulären Kampftechniken auch moderne Kampfmittel wie Drohnen, Boden-Luft-Raketen und tiefgestaffelte Verteidigungsstellungen samt moderner Führungssysteme nutzte. Den Europäern biete der Konflikt Russlands mit der Ukraine unmittelbare Einblicke in hybride Kriegführung, so Hartmann. Offene Aktionen stünden neben verdeckten Einsätzen, in denen Militärs ohne Hoheitsabzeichen und Geheimdienstangehörige einsickerten. Desinformation und gezielte Propaganda, das Schüren von sozialen Disparitäten und Spannungen, psychologischer Druck durch militärischen Aufmarsch an Grenzen und wirtschaftlicher Druck bildeten in diesem unerklärten Krieg eine komplexe Gemengelage. Sodann zeigt der Autor, dass vor allem das Vorgehen des „Islamischen Staats“ (IS) mit dem politischen Ziel der Errichtung eines Kalifats alle Facetten eines hybriden Krieges aufweist.

Begriffe wie regulär und irregulär oder konventionell und unkonventionell können demnach ein Kriegsgeschehen, welches auf Zerstörung der Staatlichkeit eines Gegners, eines Bündnisses oder einer Gemeinschaft durch Verschärfung bestehender Konflikte und Vertiefung innerer Frontlinien mit Hilfe von Unruhen, Aufständen, Propaganda und Bürgerkriegen abzielt, nicht mehr hinreichend erfassen. Die Analyse hybrider Kriegführung potentieller Gegner müsse eine Auseinandersetzung mit den eigenen Defiziten und Brüchen in Staat und Gesellschaft, an denen ein möglicher Gegner ansetzen könnte, einbeziehen. Der Provokation des IS durch den brutalen Bruch der Menschenrechte sollten die westlichen Demokratien dennoch mit Handeln im Sinn des Völkerrechts und der Moral begegnen, um nicht die eigene Glaubwürdigkeit zu gefährden und damit zu ihrer eigenen Schwächung beizutragen. Für militärische und politische Führer fordert Hartmann neben einer hohen geistigen Flexibilität einen umfassenden Ausbildungs- und Bildungshintergrund, um den komplexen Herausforderungen hybrider Kriegführung mit lageabhängigen und klaren strategischen Konzepten entgegentreten zu können.

Für unverzichtbar hierbei hält der Autor die Innere Führung. Diese möchte er von der gegenwärtigen Dominanz des Verständnisses als Menschenführung wieder mehr in die Richtung der sich schon im Kalten Krieg bewährten Führungsphilosophie umlenken. Sie enthalte nicht nur eine Theorie über das Kriegsbild, sondern auch daraus hervorgehende überzeugende Folgerungen für Politik, Gesellschaft und Streitkräfte. Die Komplexität des Denkens und Handelns sei für eine umfassende Analyse sowie die erfolgreiche Abwehr hybrider Bedrohungen unverzichtbar.

Innere Führung sowie die Motivation zum Kämpfen könne allerdings nicht nur aus der soldatischen Gemeinschaft erwachsen und durch ein Konzept des „professionellen Kämpfers“ ersetzt werden. So sehr dies von jüngeren Offizieren angesichts einer Gesellschaft, die Kampfeinsätze ablehne und Soldaten mit Einsatzerfahrung die Wertschätzung verweigere, auch gefordert werde, bilde doch weiterhin allein die demokratische Gesellschaft den Referenzrahmen. Der Inneren Führung folgend, werde Konsens in Fragen des soldatischen Selbstverständnisses in partnerschaftlichen Gesprächen, übrigens nicht zuletzt auch zwischen der politischen Klasse und der militärischen Führung, erreicht. Die Kernelemente Innerer Führung wie die Integration der Streitkräfte in die Gesellschaft, das Primat der Politik, die Rechtsstaatlichkeit, die Achtung der Menschenrechte sowie die Orientierung zum Frieden bildeten das solide Fundament, welches hybride Anfeindungen nicht so einfach zerstören könnten.

Wenn die Innere Führung zur Widerstandskraft und Erhöhung der Handlungsstärke von Politik, Gesellschaft und Streitkräften beitragen soll, genügt allerdings nicht ihre häufige Nutzung als substanzloser Begriff politischer Rhetorik. Vielmehr ist die intensive Beschäftigung mit ihren Inhalten erforderlich. Die Lektüre der Schrift von Uwe Hartmann könnte ein erster Schritt dazu sein.

Uwe Hartmann: Hybrider Krieg als neue Bedrohung von Freiheit und Frieden. Zur Relevanz der Inneren Führung in Politik, Gesellschaft und Streitkräften. Carola Hartmann Miles-Verlag, Berlin 2015. 107 S., 9,80 €.

 

http://www.faz.net/aktuell/politik/politische-buecher/hybride-kriegfuehrung-konfliktform-der-zukunft-13828310.html