AMS-Newsletter 04/2009

 

Das Soldatische

 

Die Innere Führung ist ‚in die Jahre gekommen’. Seit mehr als einem halben Jahrhundert steht sie in Geltung, ihre Leistungsfähigkeit wird angesichts der Auslandseinsätze der Bundeswehr gegenwärtig verstärkt problematisiert. Macht sie Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr zu ‚Weicheiern’ oder ist sie tauglich – vielleicht sogar unbedingt notwendig – wenn Soldatinnen und Soldaten sich in Af-ghanistan in Hinterhalten der Taliban bewähren müssen? So oder ähnlich kann die Diskussionslage der Gegenwart zusammengefasst werden. Es war also an der Zeit, ein Forum für die Diskussion über die Innere Führung zu schaffen. Die Aufgabe, die Diskussion über die Leistungsfähigkeit und nötigen-falls die Weiterentwicklung der Inneren Führung zu fördern, hat sich das Jahrbuch Innere Führung gestellt. Der erste Band des neuen Jahrbuchs steht unter dem Titel Die Rückkehr des Soldatischen. Dessen drei Herausgeber, der Berufssoldat Uwe Hartmann, der Direktor des Baudissin-Dokumentationszentrums an der Führungsakademie der Bundeswehr in Hamburg und der emeritierte evangelische Sozialethiker, langjähriger Lehrstuhlinhaber an der Helmut-Schmidt-Universität, Univer-sität der Bundeswehr in Hamburg, Christian Walther, haben einen bunten Strauß von Beiträgen zum Thema gesammelt. Sie gliedern das neue Jahrbuch in zwei große Bereiche: Politik und Gesellschaft einerseits, Führung, Ausbildung und Erziehung andererseits. Ergänzt wird das Programm des Jahrbuchs durch Hinweise auf Neuerscheinungen und einen Rezensionsteil.

Mit den beiden Schwerpunkten sind tatsächlich zentrale Dimensionen der Inneren Führung abgedeckt: Um die Integration der Soldatinnen in Staat und Gesellschaft und Legitimation ihres Dienstes einer-seits, um ihre Motivation andererseits geht es in den Aufsätzen. Gefördert werden soll nach dem Wil-len der Herausgeber durch ihr Jahrbuch der „Dialog zwischen Soldaten und Wissenschaftlern über die Bundeswehr in Staat und Gesellschaft“ (S. 8). Diskutiert wird in dieser ersten Ausgabe des Jahrbuchs über „das Soldatische“ – verstanden als Professionalität des Handelns von Militärs beim Einsatz von Gewalt. Soldatischer Professionalität bedarf die Bundeswehr bei ihren weltweiten Einsätzen. Dabei kommt es den Herausgebern darauf an, dass die geforderte Professionalität nicht eine von maschinen-ähnlichen Militärtechnokraten ist, sondern eine von „Staatsbürgern in Uniform“, die in Einklang mit der Zivilgesellschaft und deren Werten ihren Dienst versehen. Ihr Ziel besteht darin, „(d)as Soldati-sche angesichts der Herausforderungen von Einsätzen in den ‚Neuen Kriegen’ neu zu begründen“, die Alternative zwischen wehrmachtsaffinen Kämpfern und kalten Kriegern zu überwinden.

Aus der Fülle der in den Beiträgen von Militärs, Soziologen, Historikern, Theologen und Politikern gebotenen und durchgängig interessanten Perspektiven können im Folgenden nur einige wenige Ge-danken herausgegriffen werden. Sie mögen dazu einladen, sich mit dem Jahrbuch intensiv auseinander zu setzen und selbst in die Diskussion mit den Autoren und über deren Thesen einzutreten. Eröffnet wird der Band durch eine Untersuchung der neuen Zentralen Dienstvorschrift 10/1 Innere Führung von 2008 durch Claus von Rosen (S. 17–52). Rosen kann als einer der besten Kenner der von Wolf Graf von Baudissin entwickelten Konzeption der Inneren Führung gelten. Er misst die Neufassung der Dienstvorschrift nicht nur an den vorausgegangenen Dienstvorschriften aus den Jahren 1972 und 1993, sondern auch und vor allem am 1957 veröffentlichten Handbuch Innere Führung, in dem den Bundeswehrsoldaten erstmals die Konzeption erläutert wurde. Rosen kommt zu dem Schluss, dass in der Vorschrift das unveräußerliche Grundrecht der Gewissensfreiheit nicht grundgesetzgemäß zum Ausdruck komme (S. 27f.), dass der Gedanke eines Soldatendienstes „für den Frieden“ fehle (S. 28f), dass – wie es in älteren Vorschriften noch hieß – „Diskussion als Führungsmittel“ offenbar ausgedient habe (S. 32f.), dass somit die neue Vorschrift „einem hierarchisch-autoritären Verständnis von Füh-rung (huldige), das mit dem Menschenbild unserer Verfassung und damit der Inneren Führung nicht im Einklang ist“ (S. 35), dass die angebliche Einsatzorientierung der neuen Vorschrift „eine Sprechblase“ (S. 38) sei, und dass die in vielen Einzelheiten zu beobachtende Konfliktscheu die Innere Führung zu einem „abgehobene(n) System“ degradiere (S. 48f.). Diese kritischen Einwände sind „starker Tobak“, der unbedingt diskutiert werden muss! Wenn es nämlich wirklich so wäre, wie Rosen behauptet, dass die Innere Führung zu einer Hochglanzfolie verkommen ist, die Probleme aus ideologischen Gründen ausblendet, dann wäre das der Anfang vom Ende des „Staatsbürgers in Uniform“.

Der kürzlich als Kritiker eines instrumentellen Verständnisses des Militärischen hervorgetretene Ham-burger Politologe Klaus Naumann meint in der Bundeswehr die Konkurrenz zweier Leitbilder beo-bachten zu können: Wehrmacht werde mit Kampfkraft assoziiert, der Staatsbürger in Uniform sei da-gegen ein „Gutmensch“. Naumann fordert eine Überwindung dieser Alternative. Er behauptet, dass die Ausrichtung der Bundeswehrsoldatinnen und -soldaten auf die universalistische Werteordnung des Grundgesetzes nicht ausreiche. Deshalb wünscht er sich die Aktualisierung von Kämpfertraditionen, festgemacht an Handlungen, die durch Ehre und Tapferkeit gekennzeichnet sind. So macht Naumann darauf aufmerksam, dass Soldatinnen und Soldaten militärische Traditionserzählungen brauchen, „die der Professionsethik die Ehre erweis(en), ohne dem Wertehorizont unserer Zeit zu widersprechen.“ (S. 90) Auch diese Überlegungen sind unbedingt diskussionsbedürftig. Die vorpolitische Berufsmoral des Soldaten würde ihn nämlich der Gesellschaft und ihren Traditionserzählungen, auch den Traditionser-zählungen der humanitären Helfer völlig entfremden. Was unterscheidet die Extremsituationen, in die Journalisten und Aufbauhelfer kommen, von denjenigen der Militärs? Getötet werden können auch sie. Polizisten müssen sogar gegebenenfalls töten – wie Soldaten. Haben Polizisten – oder brauchen auch sie – solche traditionsbildenden Erzählungen wie Soldaten? Und, so wäre weiter zu fragen, wenn man tatsächlich die wenigen „stillen Helfer“ und „Retter in Uniform“ aus der Wehrmacht den heutigen Bundeswehrangehörigen als Vorbilder vor Augen stellte – würde man wirklich sagen wollen, das Nichtbefolgen von Befehlen aus Gründen der sittlichen Empfindung sei in der Bundeswehr genauso angebracht wie in der Armee des totalitären Unrechtsregimes?

Abschließend sei als drittes Beispiel für die Vielfalt der Perspektiven und für den geistig anregenden Gehalt des Sammelbandes ein Beitrag des Mitherausgebers Walther vorgestellt: „Gewissen und Gehorsam“ (S. 109–116) Walther stellt fest, dass sich in den Auslandseinätzen für den einzelnen Solda-ten die Gewissensfrage neu stellt. Einerseits nämlich steht das Gewissen in Gefahr, zum Abbild des jeweils erwünschten Richtigen zu werden, andererseits hat es gar keine Urteilskraft mehr. Deshalb ist das Gewissen nicht als fester Besitz des Menschen vorzustellen, sondern bedarf einer sorgfältigen Selbst-Bildung. Erst dadurch, dass der um seine Gewissensbildung bemühte Mensch sich ein Gewis-sen macht, erweist er sich als autonome Persönlichkeit. Für Soldaten kommt „der ganze Ernst der Ge-wissensfrage dort zum Vorschein, wo die Ausführung eines Auftrags die Möglichkeit des Schuldig-werdens beinhaltet – wenn etwa der Schutz von Menschen nicht anders zu gewährleisten ist als durch die Zerstörung anderen menschlichen Lebens.“ (S. 113)

Die Diskussion darüber, was Bundeswehrsoldatinnen und -soldaten tun sollen und wie sie sich selbst verstehen sollen, wofür sie eingesetzt werden sollen, und welche Unterstützung ihnen die Zivilgesellschaft für ihren Dienst erweisen will, ist noch kaum in Gang gekommen. Es geht aber nicht nur darum, dass Bundestagsabgeordnete über Kontingentobergrenzen oder Mandatsverlängerungen abstimmen, sondern auch und vor allem um die Frage: Welche Bundeswehr wollen wir als Bürgerinnen und Bürger der Bundesrepublik Deutschland? Und: Was dürfen wir unseren Mitbürgern in Uniform zumuten?

Angelika Dörfler-Dierken

 

Uwe Hartmann/Claus von Rosen/Christian Walther (Hg.) (2009): Jahrbuch Innere Führung 2009. Die Rückkehr des Soldatischen. Eschede: Hartmann Miles-Verlag, 218 Seiten, 19,80€.